Ellen Fritsche: Warum gibt es noch Tierversuche?

Shownotes

Der Wunsch, die Gesundheit des Menschen zu schützen, treibt sie an: Die studierte Humanmedizinerin Ellen Fritsche hat in der Umwelttoxikologie ihr Herzensthema gefunden. Zurzeit forscht sie am Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF) an Alternativen für Tierversuche – und setzt sich gleichzeitig dafür ein, dass die entwickelten Methoden auch in die Anwendung kommen.

Ellen Fritsche gibt uns in dieser Folge von #ForscherinnenFreitag eine differenzierte, wissenschaftliche Perspektive auf diese ethisch umstrittene Thema sowie einen Ausblick, was durch den technologischen Fortschritt in den nächsten fünf bis zehn Jahren erreicht werden könnte. Aber warum hat sie nach ihrem Medizinstudium eigentlich dem Krankenhaus den Rücken gekehrt? Und was ist aus ihrer Idee geworden, Journalistin zu werden?

Über unsere Plattform #InnovativeFrauen könnt ihr euch mit Ellen vernetzen, außerdem ist sie offen für Interviews und Anfragen als Rednerin sowie als Mentorin: Profil von Prof’in Dr’in Ellen Fritsche

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Book A Scientist

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00:09Intro: Forscherinnen-Freitag: Der Interview Podcast mit innovativen Frauen aus der Wissenschaft.

00:15Sandra Fleckenstein: Es ist wieder Freitag, aber nicht irgendein Freitag. Herzlich Willkommen bei Forscherinnen-Freitag, deinem Podcast von und mit innovativen Frauen. Ich bin Sandra Fleckenstein und natürlich habe ich auch heute wieder eine wahnsinnig inspirierende Frau zu Gast, die in einem wirklich aussergewöhnlichen, ja und doch so bevölkerungsnahen Bereich forscht, nämlich der Umwelt Toxikologie. Unter anderem, Dank ihre Arbeit, werden Tierversuche hoffentlich bald der Vergangenheit angehören. Herzlich Willkommen, Professorin Doktorin Ellen Fritzsche. Hi!

00:53Ellen Fritsche: Ja. Hallo liebe Sandra, ich freue mich unglaublich heute hier zu sein und bin total gespannt auf unser Gespräch und freue mich vor allen Dingen auch mein Thema ja einfach ein bisschen den Menschen näherzubringen.

01:08Sandra Fleckenstein: Super, dann würde ich sagen, starten wir auch gleich direkt und springen einfach direkt in dein Forschungsthema rein, weil ich wirklich selbst so gespannt bin, mehr darüber zu erfahren. Also erzähl uns doch gerne mal, was genau machst du und was ist das Innovative daran?

01:25Ellen Fritsche: Ja, also wie du schon sagtest, ich bin Toxikologen, Umwelt Toxikologen und mein Ziel ist es, die Gesundheit des Menschen zu schützen. Und daher beschäftige ich mich seit 20 Jahren schon damit, Methoden zu etablieren, um eben humanrelevant Umwelt Schadstoffe zu identifizieren. Das heißt, ich möchte eigentlich weg vom Tier, weil das Tier nun mal ganz anders gestrickt ist als der Mensch und hin zur Humanrelevanz. Und deswegen beschäftige ich mich mit Stammzellen und mein zentrales Thema ist tatsächlich auch das Gehirn, das zentrale Nervensystem und um die Gehirne von unseren Kindern zu schützen, deswegen etabliere ich neue Methoden.

02:11Sandra Fleckenstein: Okay. Kannst du uns da mal so einmal mit uns reinzoomen? Wie kann man sich das vorstellen? Was machst du da?

02:18Ellen Fritsche: Ja, man kann sich das vorstellen, dass die Gehirnentwicklung, wie sich jeder wirklich vorstellen kann, sehr, sehr komplex ist. Das heißt, wir nehmen diesen komplexen Vorgang und pflücken ihn ganz einfach auseinander und gucken, was brauchen wir denn alles für die Gehirnentwicklung? Das ist im Prinzip wie, was in so einer Einkaufstüte alles drin ist. Da brauchen wir, dass die Zellen wachsen und dass die wandern und dass sie zu Nerven werden. Und so weiter. Und die stecken wir dann in die Kultur Schale dann. Das heißt, wir benutzen Stammzellen, um all diese Prozesse in einzelnen Experimenten abzubilden. Und hinterher setzen wir einfach alles wieder zusammen und haben dann eine Antwort, welche Prozesse möglicherweise durch Umwelt Schadstoffe gestört werden können.

03:05Sandra Fleckenstein: So, jetzt haben wir schon gesagt oder du hast es auch gesagt, mit deiner Forschung versuchst du dahin zu kommen, das eben weg vom Tier, hin zu, wie sagt man, humanen Stammzellen? Wie machst du das? Wie läuft das?

03:23Ellen Fritsche: Das läuft so, dass wir die Gehirn Stammzellen wirklich im Labor in der Schale haben und wir mit diesen Methoden eben im Prinzip, wir nennen das Konzentrations Wirkungs Kurve. Das ist immer ein ganz blödes Wort, aber wir gucken einfach bei welcher Konzentration schädigt eine Substanz die Entwicklung von diesen Stammzellen? Und dann packt man das natürlich für ganz viele verschiedene Prozesse alles zusammen und guckt, was ist die niedrigste Konzentration, wo denn wirklich auch was passiert. Und dann muss das Ganze tatsächlich über verschiedene kinetische Verfahren usw auch auf die Konzentration auf den Menschen übertragen werden. Das machen dann aber nicht wir. Dafür gibt es tatsächlich andere Spezialisten, die genau das können, nämlich die verrechnen. Wie viel ist in der Umwelt, wie viel nehme ich auf, wie viel kommt dann in unseren Zellen an? Da braucht man tatsächlich extra Experten für und wir kümmern uns dann darum. Was machen diese Konzentrationen auf die Entwicklung von Gehirnzellen?

04:26Sandra Fleckenstein: Okay und wo bekommt ihr diese Stammzellen her? Also wie kann ich mir das vorstellen, werden die Menschen entnommen? Oder werden die gezüchtet oder kann man die im Supermarkt kaufen? Keine Ahnung.

04:38Ellen Fritsche: Also es gibt verschiedene Arten von Stammzellen. Das eine sind, die heißen induziert fluoridpotente Stammzellen. Das sind ganz tolle Zellen, weil man die aus jeder Zelle des menschlichen Körpers herstellen kann. Das heißt, man nimmt zum Beispiel eine Hautzellen oder auch eine Zelle aus dem Urin, zum Beispiel, und kann durch bestimmte Faktoren denen beibringen, dass sie wieder zur Stammzelle werden, wo sie eigentlich immer herkommen. Da wurde für diese Technik wurde tatsächlich auch 2012 der Nobelpreis für verliehen. Das ist eine ganz tolle Technik, weil man dadurch im Prinzip ja jede Zelle rückprogrammiert. Und aus dieser Zelle kann man dann wieder alle möglichen Zellen des menschlichen Körpers, unter anderem eben auch Gehirnzellen, herstellen. Also das ist eine Art von Zellen, die wir nutzen. Die andere Art von Zellen sind tatsächlich fetale menschliche Zellen, die kommen eben aus Worten und an denen forschen wir eben an primär Zellen. Das ist unser Goldstandard, praktisch. Wie soll es denn im menschlichen Gehirn wirklich aussehen? Weil auch diese fluoridpotenten Stammzellen brauchen ja einen Goldstandard. Das ist ja unser großes Problem. Bisher ist das die Ratte, aber die Ratte ist einfach kein guter Goldstandard für den Menschen, weil eine Ratte kann weder lesen noch rechnen, hat kein soziales Verhalten, wie Kinder das haben. Ratten sind einfach ein anderes Programm. Die sind ja programmiert auf schnelle Reproduktion. Deswegen haben wir ja auch so viele in unseren Städten rumlaufen. Und ja, das ist einfach ein anderer Organismus als der Menschliche.

06:12Sandra Fleckenstein: Okay, und das heißt, was ist deine Motivation dahinter, genau in diesem Bereich zu forschen? Du hast jetzt gesagt, weil es einfach, la, weil die humanen Stammzellen natürlich näher am Menschen sind, wie der Name schon sagt. Oder gibt es für dich noch weitere Motivationen? So Stichwort vielleicht auch Tierschutz?

06:34Ellen Fritsche: Ja, Tierschutz ist mit Sicherheit ein Thema. Aber ich muss sagen, ich habe Humanmedizin studiert. Ich bin ursprünglich Ärztin und dessentwegen liegt die Humanrelevanz und auch die die wissenschaftliche Genauigkeit mir einfach am Herzen. Weil, wenn ich weiß, ich forsche mit einer humanen Zelle, weiß ich einfach, dass ich ganz nah an dem dran bin, was ich auch schützen möchte. Für mich ist da tatsächlich das Tier eher die Krücke, weil irgendwann braucht man natürlich auch Informationen über den gesamten Organismus. Das ist ja immer noch was anderes als eine Zelle in der Kulturschale. Das ist ja auch logisch. Aber für mich ist der der humane Weg einfach der komplett Logische. Ich glaube einfach aus meiner Historie, aus meinem Studium raus. Der Tierschutz kommt natürlich dazu. Also ich meine Tierwohl ist was das liegt, glaube ich, den meisten Menschen am Herzen. Ich muss gestehen, ich habe selber nie einen Tierversuch durchgeführt. Also da kam es einfach auch nie zu und bin ich auch froh drüber.

07:33Sandra Fleckenstein: Okay, verstehe. Super spannendes Thema. Worauf wir jetzt noch nicht geguckt haben bei deinem Forschungsthema, ist die Toxikologie. Also was für Umwelt Schadstoffe erforscht du da oder wie die auf menschliche Zellen reagieren? In welchem Bereich bewegen wir uns da? Ich glaube, da gibt es ja auch richtig viele.

07:55Ellen Fritsche: Da gibt es richtig viel. Das große Problem an den Schadstoffen ist eigentlich, und das weiß kaum jemand, dass die Testung auf die Gehirnentwicklung ist für keine Substanz wirklich vorgeschrieben. Also das glaubt man eigentlich gar nicht. Und die Stoffe, die natürlich dafür entwickelt worden sind, dass sie das Nervensystem schädigen, sind die, die uns erst mal am Meisten interessieren. Und das sind natürlich Pestizide, weil Pestizide sollen ja das Nervensystem von anderen Spezies stören. Aber natürlich, wenn Sie für andere Tiere, Insekten und so weiter entwickelt worden sind, liegt ja auch immer die Gefahr nahe, dass das mit dem Menschen was macht. Das heißt, Pestizide sind natürlich unser Fokus. Aber man muss sagen, dass von den ungefähr 150000 Substanzen, die wir tatsächlich in Europa auf dem Markt haben und die zugelassen sind, haben wir Daten für 0,05 % auf die Gehirnentwicklung. Und das ist natürlich unfassbar wenig. Was ich sehe, ist wir haben eine riesengroße Datenlage und das haben zum Glück auch die Behörden erkannt. Deswegen unterstützen uns die Behörden sehr in der Entwicklung unserer Methodiken. Weil diese Daten Lücke muss einfach geschlossen werden, weil Kinder haben immer mehr Zappelphilipp Syndrom, Autismus, Lernschwäche, IQ Verlust. Ich meine, die Zahl dieser Entwicklungsstörungen, was das Gehirn betrifft, ist wirklich sehr, sehr lang. Und natürlich sind dafür nicht nur Chemikalien verantwortlich, aber sie stehen in Verdacht, zumindest dazu beizutragen. Und diesen Verdacht, den muss man entweder bestätigen oder auch ausräumen. Das ist halt immer wir haben eine Hypothese und dann muss die Hypothese geprüft werden. Und dafür brauchen wir Daten.

09:36Sandra Fleckenstein: Absolut. Vielen Dank für diesen Einblick in dein Forschungsthema. Wir haben jetzt so meinem Gefühl nach relativ viel schon betrachtet und unter die Lupe genommen, zumindest quasi inhaltlich. Und damit wir das jetzt richtig schön knackig bekommen, schlage ich jetzt mal vor, ist es Zeit für unsere Rubrik Elevator Pitch. Das heißt, liebe Ellen, du hast jetzt gleich 20 Sekunden Zeit, um das alles, was wir jetzt gerade in den ersten Minuten besprochen haben, noch mal ganz kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, damit die ZuhörerInnen wirklich genau Bescheid wissen, woran du forscht und was das Innovative daran ist. Achtung! Und los geht's!

10:25Ellen Fritsche: Elevator Pitch. Ich benutze stammzellbasierte Methoden, um die entwicklungsneurotoxische Wirkung von Substanzen in vitro tierversuchsfrei zu untersuchen.

10:46Sandra Fleckenstein: Super viel Dank. Ich habe mir jetzt in der Vorbereitung tatsächlich auch die Frage gestellt. Also ich hatte gleich so einen Film irgendwie im Kopf. Natürlich, wenn es um Tierversuche geht, dann ist man natürlich medial geprägt und hat gleich so furchtbare Bilder im Kopf. Und das ihr da so eine Gegenbewegung startet gegen die Tierversuche und alternative Herangehensweisen erforscht und entwickelt, habe ich mir die Frage gestellt: Gibt es vielleicht auch gegenläufige Interessenvertretungen, die eure Forschung in diesem Bereich tendenziell verhindern wollen? Ist dir sowas schon mal untergekommen oder begegnet.

11:24Ellen Fritsche: Sagen wir mal so, also das Feld war natürlich gerade was du erzählst, die Tierversuchsgegner und es gibt diese schrecklichen Affenbilder usw. Also das Feld war tatsächlich lange Zeit sehr polar. Das heißt die Menschen, die an Alternativen geforscht haben, waren im Prinzip die Gegner von denen, die mit Tierversuchen arbeiten. Und ich bin einfach nur glücklich darüber, dass sich das in den letzten Jahren vollständig geändert hat. Weil das ist auch mein Ziel, ist nicht Trennung, sondern mein Ziel ist ja immer Einheit, weil gegeneinander erreichen wir einfach viel, viel weniger als zusammen. Und deswegen ist jetzt eigentlich der generelle Konsens, dass Tierversuche bisher unglaublich wichtig waren, wir auch wirklich viel daraus gelernt haben, muss man gestehen. Also unsere ganze wissenschaftliche Basis basiert darauf, das war sehr wertvoll. Die Zeit hat sich jetzt geändert und die Wissenschaft, die Technologien sind vorangeschritten und nun nutzt man eben neue Methoden, um vielleicht wissenschaftlich besser und auf jeden Fall ethisch vertretbarer zu sein. Und daher sagt man jetzt eigentlich: Wir nutzen alles, was es gibt. Wir nutzen die alten Daten aus den Tierversuchen, weil die sind ja nicht nutzlos. Ich meine, die Versuche sind ja sowieso gelaufen und wir nutzen die neuen Methoden und wir nutzen auch am Computer basierte Methoden, um vielleicht noch besser zu extrapolieren. Und im Prinzip schaffen wir dadurch ja eine große Einheit in der Community und das finde ich persönlich sehr angenehm, weil ich möchte nicht gegen jemanden arbeiten, sondern ich arbeite ja für eine Verbesserung und nicht gegen irgendjemanden. Das heißt, ich bin über diese Entwicklung sehr, sehr froh, muss ich sagen. Und es gibt Kollegen, die machen auch wirklich hervorragende Forschung, natürlich mit Tieren und auch mit diesen zusammenzuarbeiten und vielleicht zu gucken, wo kann man denn hier und da was ersetzen oder welche Aspekte sind denn spezifisch für den Menschen, wo der Tierversuch wirklich auch keinen Sinn macht? Also wir arbeiten zum Beispiel an einem bestimmten Krankheits Modell. Das sind Kinder, die haben bestimmte Mutationen und die sterben früh und es führt aber auch zu großen Störungen in der Gehirnentwicklung. Und das Maus Modell bringt uns einfach überhaupt nicht weiter. Und da arbeiten wir eben mit den Stammzellen von diesen fluoridpotenten Wunder Stammzellen aus den Patienten, wo man halt versucht zu erkunden, wo liegt denn das Problem? Warum werden denn die Kinder so krank? Das sind einfach Beispiele, da versagt eben das Tier und da muss man eben auf anderes umschwenken. Und ja, mein langfristiges Ziel wäre es natürlich, tierversuchsfrei zu sein. Das schaffen wir aber nicht in den nächsten fünf Jahren. Das ist utopisch. Das ist ein Prozess, wo es eben ganz wichtig ist, dass man gemeinsam dran arbeitet und nicht gegeneinander.

14:11Sandra Fleckenstein: Damit hast du mir schon meine nächste Frage quasi direkt beantwortet. Ich wollte nämlich gerade sagen: Wir haben ja im Vorgespräch, da hast du erwähnt, dass seit 2007 ein Paradigmenwechsel in der Toxikologie stattfindet, mit dem Ziel, tatsächlich auch Tests an Tieren durch alternative Methoden komplett zu ersetzen. Du hast jetzt schon gesagt, du glaubst jetzt nicht daran, dass das in den nächsten fünf Jahren passiert. Was glaubst du denn, wann? Wann können wir dieses Ziel erreichen? So eine Prognose?

14:40Ellen Fritsche: Also das ist natürlich jetzt ein educated guess und nur meine persönliche Meinung. Ich denke mal, dass sich da in den nächsten zehn Jahren ganz schön viel tun wird, weil, wie war das, ich ich glaube, die Zahl war 80 % der bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind in den letzten 5 bis 10 Jahren entstanden. Das heißt, unser Wissenszuwachs ist so groß pro Jahr und auch der technologische Fortschritt ist so groß, dass ich denke, in den nächsten, ich sag mal zwischen fünf und zehn Jahren, wird da schon einiges möglich sein. Vor allen Dingen, weil es ja auch ein Feld gibt, wo das schon passiert ist. Und das ist die kosmetische Testung. Seit 2013 sind die Tests an Tieren mit Kosmetika oder für kosmetische Zwecke in der EU verboten, das heißt, da mussten sich die Methoden ganz schnell bewegen. Deswegen ist es auch so für mich sehr befriedigend, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, weil nur über die Behördenschiene bekommen wir ja Akzeptanz. Und da ist die Europäische Nahrungsmittelbehörde wirklich ein Vorreiter, weil die setzen sich sehr, sehr stark für den Nutzen von alternativen Methoden ein. Und das ist natürlich ganz toll und es ist eine tolle Zusammenarbeit.

15:58Sandra Fleckenstein: Das klingt auf jeden Fall nach guten Aussichten und wir drücken natürlich die Daumen, dass die Forschung da schnellstmöglich mit großen Schritten voranschreiten kann. Ich würde gerne noch mal auf die Ethik in dem Thema zu sprechen kommen. Du hast das vorhin ja auch schon kurz erwähnt: Tierversuche. Das ist einfach ein emotionales Thema, wozu vermutlich die meisten Menschen eine sehr eindeutige Haltung haben. Was bedeutet das für die Wissenschaftskommunikation? Also wie erlebst du den Austausch zwischen Forschung und BürgerInnen in dem Bereich?

16:38Ellen Fritsche: Ich glaube, diese Kommunikation ist wirklich ganz, ganz wichtig und ist auch in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Deswegen gibt es ja Initiativen von den Universitäten, zum Beispiel über die Lange Nacht der Wissenschaften oder ich bin ja Teil der Leibniz Gemeinschaft, weil ich an einem Leibniz Institut forsche und Leibniz ist das auch ganz, ganz wichtig. Und Leibniz hat im Verbund mit anderen Institutionen in Deutschland diese Plattform "Tierversuche verstehen" gegründet. Da geht es natürlich um die Kommunikation. Auch warum sind Tierversuche wichtig? Es gibt ja zum Beispiel im Fall von Medizinprodukten: Eine Hüftprothese, die kann ich jetzt in vitro nicht nicht testen. Also es gibt einfach Fälle da braucht man halt was anderes als eine Zelle und da wird eben versucht auch an die Bevölkerung heranzutreten. Und bei diesen "Tierversuche verstehen" gibt es natürlich auch die unter Rubrik "Alternativ Methoden", wo dann eben auch der Einsatz von alternativen Methoden genauer beschrieben wird. Also dann gibt es das Book Scientist von Leibniz, das kann ich auch nur jedem ans Herz legen. Da kann man sich aus allen Leibniz Instituten sich für 1/4 stündiges Gespräch einen Wissenschaftler buchen in einem eins zu eins Gespräch und darf demjenigen dann alle Fragen stellen, die man schon immer hatte und die aber noch nie beantwortet worden sind. Und solche Initiativen sind einfach ganz, ganz großartig, um die Kommunikation zu verbessern. Und das halte ich auch für sehr sehr wichtig, weil gerade im Stammzellgebiet, also ich weiß es ist jetzt noch nicht viele Jahre her. Wenn man Stammzelle gesagt hat, dann hat der gemeine Mensch gedacht, man wollte jetzt einen Menschen klonieren, also einfach das aufzudröseln. Was bedeutet das eigentlich? Und weil das ist ja alles auch nicht einfach, das ist schon auch kompliziert, dass man versteht, für was nutze ich denn was? Also nein, wir möchten keine menschlichen Embryonen herstellen, überhaupt nicht. Aber Stammzellen kann man ganz toll nutzen, um Gefährdungspotenzial von Chemikalien zu testen, zum Beispiel. Und da ist der Dialog einfach ganz, ganz wichtig. Und ich habe das Gefühl, das verbessert sich auch von Jahr zu Jahr.

18:55Sandra Fleckenstein: Auf jeden Fall. Gut, dass wir es an dieser Stelle noch mal konzertiert hast. Vielen Dank dafür. Du hast eben schon so einen kleinen Hint auf deinen Werdegang gegeben. Da würde ich jetzt gerne auch noch mal draufgucken wollen mit dir. Du hast ja an der medizinischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf promoviert und auch habilitiert. Im Vorgespräch hast du uns verraten, dass du deinen Werdegang selbst jetzt gar nicht so wirklich als gradlinig bezeichnest. Welche Kurven und Schleifen hast du genommen?

19:26Ellen Fritsche: Oh je, das war einige Kurven und Schleifen, weil ich habe angefangen, Medizin zu studieren, weil mich einfach die Biologie interessiert hat und der Mensch. Und ich wusste auch gar nicht, ob ich jetzt wirklich Ärztin werden wollte. Es stellte sich dann raus, dass ich keine Ärztin werden möchte, weil mir einfach das Arbeiten im Krankenhaus persönlich, war nicht mein Weg, hat mir nicht zugesagt. Dann habe ich gedacht, dann werde ich halt Journalistin. Und um Journalistin zu sein, brauche ich natürlich eine Promotion. Und dann dachte ich: Na ja, Umwelt hat mich schon immer interessiert. Dann gehe ich doch mal an das Medizinische Institut für Umwelthygiene und mach da meine Doktorarbeit. Na ja, und da bin ich dann bei meinem wunderbaren Mentor Professor Joseph Abel gelandet, der gesagt hat: "Na ja, also wenn du jetzt mal irgendwie schreiben willst, dann bringe ich dir jetzt mal richtig Toxikologie bei, damit nicht immer so ein Quatsch in den Zeitungen steht." Und na ja, daraufhin habe ich halt die Liebe zur Forschung und zur Toxikologie entdeckt und war dann noch einige Jahre in den USA. Habe da das Forschen gelernt, weil als Mediziner kann man das ja nicht. Also ich habe das in meinem Studium damals zumindestens, ich hatte ich da nicht viel Kontakt zu Forschungsarbeiten. Ja und bin dann so tatsächlich wirklich in meinen Traum Gebiet gekommen. Das ist die Toxikologie und das sind die Alternativen zum Tierversuch. Also da schlägt mein Herz für, aber das hätte ich mir am Anfang des Studiums niemals vorstellen können.

20:53Sandra Fleckenstein: Das heißt, wenn ich dich richtig verstehe, bist du ein lebendes Beispiel dafür, dass man zu Beginn eines Studiums nicht schon das große Ziel in weiter Ferne final anvisieren muss, sondern dass doch irgendwie der Weg das Ziel ist und es wichtig ist einfach offen, auch durch sein Studium zu gehen und Türen, die sich öffnen, da durchzugehen und quasi sich von verschiedenen Menschen auch inspirieren zu lassen und Richtungen quasi aufzeigen zu lassen. Und dann einfach sich selbst zu vertrauen und zu gucken was erfüllt mich mit Freude inhaltlich?

21:30Ellen Fritsche: Ganz genau. Ich glaube, das Wichtigste ist wirklich, dass man da, ich sag es jetzt mal einfach, seinem Herzen folgt, weil das trägt einen ja doch immer dahin, wo man dann im Endeffekt richtig ist. Und das war bei mir ganz extrem, als ich mein praktisches Jahr im Krankenhaus gemacht habe. Ich wusste, ich werde nie wieder hierhin zurückkehren. Mein Bauch hat mir das gesagt, nicht mein Kopf. Und von dessen Wegen ja einen Weg gehen und dann aber auf diesem Weg wirklich seinem Gefühl, seinem Herzen folgen, wo es einen hin trägt. Und ich glaube, das ist das Beste, was man tun kann.

22:01Sandra Fleckenstein: Das stimmt. Ich würde gerne noch eine Frage stellen. Und zwar bist du als Professorin an der Ausgründung eines Startups auf Basis deiner Forschungsarbeiten beteiligt. Derzeit und aktuell. Wieso ist es in diesem Fall notwendig?

22:17Ellen Fritsche: Gute Frage. Ja, das ist unser spannendste Projekt im Moment. Die Ausgründung DN Tox heißen wir. Das ist deswegen notwendig, weil wir haben ja jetzt Methoden entwickelt, die wir auch angewandt sehen möchten, und dafür müssen sich Gesetze ändern. Nun ist es aber so, dass die Europäische Kommission keine Gesetze ändern wird, nämlich hin zu alternativen Methoden, wenn niemand diese Methoden kaufen kann oder nutzen kann, weil die nämlich bei Frau Fritsche in der Arbeitsgruppe irgendwo im Labor, sag ich mal, vergraben sind. Das heißt, wir möchten eigentlich diese Methoden öffentlich zugänglich und anwendbar machen, damit sich die Gesetzeslage auch ändern kann. Damit eben das Argument "Na ja, die Methoden, die sind ja gar nicht verfügbar und deswegen ändern wir jetzt auch mal unsere Gesetze nicht", damit haben wir dieses Argument schon mal ausgehebelt. Also du siehst, wir arbeiten mit allen Mitteln und Kniffen, um möglichst hier wirklich auch in die Anwendung zu kommen. Deswegen war das wirklich notwendig.

23:20Sandra Fleckenstein: Okay, verstehe. Ähm, wir sind tatsächlich schon fast am Ende angekommen. Und wenn ihr, liebe ZuhörerInnen die letzten Podcast Folgen gehört habt, dann wisst ihr natürlich jetzt Bescheid, welche Frage jetzt zu guter Letzt ich noch der Ellen stellen werde. Ellen, was ist denn dein Lieblingsgetränk? Matcha Latte. Matcha Latte. Sehr gut. Okay. Wir stellen uns vor, du sitzt in deinem Lieblingscafe. Es ist ein sonniger Tag. Die Bedienung stellt dir einen wahnsinnig leckeren Matcha Latte auf den Tisch und dir gegenüber sitzt dein jüngeres Ich. Was möchtest du diesem jüngeren Ich mit auf den Weg geben?

24:07Ellen Fritsche: Vertrau einfach in das, was passiert. Es wird eh alles gut.

24:11Sandra Fleckenstein: Das ist, finde ich, ein wahnsinnig tolles Schlusswort. Wir sind am Ende angekommen. Ich könnte mit dir noch stundenlang weiter über dieses spannende Thema sprechen, das irgendwie so fern und doch so nah ist. Und bedanke mich ganz recht herzlich für das Interview heute. Und Euch da draußen wünsche ich jetzt noch einen ganz fantastischen, tollen Tag, Abend, eine gute Nacht. Wann immer ihr auch den Podcast hören solltet und freue mich, wenn ihr auch in der nächsten Folge euch wieder rein klickt.

24:46Outro: Wir hoffen, dass euch die Folge gefallen hat. Auf unserer Plattform Innovative-Frauen.de findet ihr weitere spannende Inhalte. Schaut doch gern mal vorbei. Habt ihr Fragen oder Wünsche? Dann schreibt uns an Podcast@Innovative-Frauen.de. Ihr findet uns auch bei Instagram, Twitter, YouTube und LinkedIn. Und eine Info zum Schluss für die Transparenz. Die Plattform #InnovativeFrauen wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation Leistungen und Potenziale sichtbar mache, Sichtbarkeit strukturell verankern unter dem Förder Kennzeichen 01fp21070 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Kompetenzzentrum Technik Diversity Chancengleichheit e.V..

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