Marília Jöhnk: Hat die Übersetzung von Literatur ein Geschlecht?

Shownotes

In den Literaturwissenschaften wird selten eine Verbindung von Mehrsprachigkeit und Geschlecht hergestellt, dabei denken wir selbst bei dem Wort "Muttersprache" ein Geschlecht mit. In der heutigen Folge #ForscherinnenFreitag sprechen wir darüber, inwiefern schon im 18. Jahrhundert eine Genderperspektive in der Literatur vorhanden war und wie translinguale Autorinnen die Übersetzung als Mittel nutzten, um sich an Debatten der Aufklärung zu beteiligen.

Unsere Interviewgästin Dr.’in Marília Jöhnk ist mehrsprachig aufgewachsen und liebt es, über Literatur nachzudenken und in unterschiedliche Erfahrungswelten einzutauchen. In ihrer Forschungsarbeit fällt ihr auf, dass Mehrsprachigkeit und Gender keine modernen Phänomene sind. Schon im 18. Jahrhundert haben Autorinnen das Mittel der Übersetzung genutzt, um ihren Standpunkt im Hinblick auf Frauenrechten zu platzieren und sich an der Aufklärungsdebatte zu beteiligen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind romanische Literaturen (Lateinamerika, Frankreich, Spanien, Portugal), Mehrsprachigkeit, dekoloniales Schreiben, Gender Studies und translinguale Autorinnen des 18. Jahrhunderts.

Website von Dr’in Marília Jöhnk

Diese Texte hat Marília im Interview erwähnt: Anzalduá, Gloria. Borderlands/La Frontera: The New Mestiza. San Francisco: Aunt Lute Books 2007. Joyes y Blake, Inés: Apología de las mugeres. In: El príncipe de Abisinia. Novela traducida del ingles por doña Ines Joyes y Blake. Madrid: Imprenta de Sancha. S. 175–204.

Sie empfiehlt: Tawada, Yōko. akzentfrei. Tübingen: konkursbuch Verlag Claudia Gehrke 2016. Tawada, Yōko. Eine leere Flasche. In: Überseezungen. Tübingen: konkursbuch Verlag Claudia Gehrke 2002. S. 53–57. Yildiz, Yasemin: Beyond the Mother Tongue. The Postmonolingual Condition. New York: Fordham UP 2012.

Bret, Patrice: [Art.] Traductrices. In: Dictionnaire des femmes des Lumières. Hrsg. von Valérie André u. Huguette Krief. Paris: Champion 2015. S. 1145–1161. Bolufer Peruga, Mónica: La vida y la escritura en el siglo XVIII. Inés Joyes: Apología de las mujeres. Valencia: Universitat de València 2008. Gramatzki, Susanne: Die andere Stimme – Frauen und das Mehrsprachigkeitsideal der Renaissance. In: Mehrsprachigkeit in der Renaissance. Hrsg. von Christiane Maaß u. Annett Volmer. Heidelberg: Winter 2002. S. 199–213. Sanmann, Angela: Die andere Kreativität. Übersetzerinnen im 18. Jahrhundert und die Problematik weiblicher Autorschaft. Heidelberg: Winter 2021.

Über unsere Plattform #InnovativeFrauen könnt ihr euch mit Marília vernetzen, außerdem ist sie offen für Interviews und Anfragen als Rednerin oder zur aktiven Vernetzung: Profil von Dr’in Marília Jöhnk

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00: 00:09Intro/ Outro: Forscherinnen Freitag, der Interview Podcast mit innovativen Frauen aus der Wissenschaft.

00: 00:15Sandra Fleckenstein: Einen wunderschönen Forscherinnen Freitag! Mein Name ist Sandra Fleckenstein, und auch heute wird mir wieder eine innovative Frau Rede und Antwort stehen, und zwar in einem geisteswissenschaftlichen Forschungsfeld, denn ihre Welt ist die Literaturwissenschaft. Dabei interessiert sie besonders die Verbindung von Mehrsprachigkeit und Gender Studies. Wieso wird eigentlich bei der Muttersprache bereits ein Geschlecht mitgedacht? Das frage ich sie gleich. Herzlich willkommen, Doktorin Marilia Jöhnk. Schön, dass du da bist.

00: 00:50Marilia Jöhnk: Vielen Dank, ich freue mich sehr.

00: 00:52Sandra Fleckenstein: Ich mich auch, und bevor wir gleich in deine Forschung thematisch einsteigen, magst du dich erst mal mit drei Hashtags beschreiben.

00: 01:05Marilia Jöhnk: Drei Hashtags. Tatsächlich bin ich gar nicht mehr auf Twitter, aber deshalb denke ich gar nicht mehr so in Hashtags. Aber wenn ich meine Lieblings Hashtags, die ich vorher benutzt habe, nehmen würde, dann wäre das bestimmt Womens Rights, Mehrsprachigkeit und Forschung vielleicht ganz langweilig, aber das sind doch die ersten drei, die mir jetzt spontan einfallen.

00: 01:35Sandra Fleckenstein: Super, dann lass uns gleich deinen letzten Hashtag aufgreifen und in deine Forschung springen. Du bist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Göthe Universität in Frankfurt, und du hast eine romanistische Literaturwissenschaft an der Humboldt Uni in Berlin promoviert. Erst mal so allgemein. Welche Arten von Literaturwissenschaften kann man denn überhaupt studieren, falls jetzt HörerInnen zu hören, die sich wirklich gerade damit beschäftigen, und überlegen, ob das was für sie sein könnte?

00: 02:07Marilia Jöhnk: Ja, also ganz klassisch sind eigentlich die größeren Philologien, also zum Beispiel die Germanistik, die Anglistik, die Romanistik. Dann gibt es noch kleinere Fächer: Skandinavistik und Slavistik. Man könnte also schon mal, wenn man bestimmte sprachliche Präferenzen hat, schauen, okay, mich interessieren vielleicht eher die anglophone Literatur oder ich, ich begeistere mich sehr für das Französisch, für das spanische. Wenn man aber eine dieser Philologien studiert, hat man auch Linguistik mit dabei, also nicht nur Literaturwissenschaft und die Linguistik. Das ist nochmal ein ganz anderes Feld, wo man auch ganz anders denkt. Das heißt, wenn man nur Literaturwissenschaft studieren möchte, gibt es Studiengänge wie zum Beispiel die allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft und auch Studiengänge, die vielleicht einen anderen Namen haben als europäische Literaturen zum Beispiel. Ganz selten hat man vielleicht auch einen Fokus auf Gegenwartsliteratur. In Berlin gibt's da so einen Studiengang. Also, es gibt dann je nach Uni auch bestimmte Präferenzen. Aber die allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft wäre da schon eins der etabliertesten oder bekannteren Fächer, und ein Unterschied ist aber auch, dass man bei uns nicht auf Lehramt studiert. Also wenn man jetzt Germanistik wählt, dann ist es eben häufig so, dass man das Berufsziel Lehrerin, Lehrer hat, und das ist bei uns eben nicht der Fall.

00: 03:33Sandra Fleckenstein: Verstehe. Ich merke jetzt schon, wenn du über Literaturwissenschaft sprichst, spüre ich da so eine Leidenschaft und so ein Funkeln in deinen Augen. Was fasziniert dich denn so an Literaturwissenschaft?

00: 03:46Marilia Jöhnk: Hm, also, ich glaube, für mich ist es natürlich das Grundlegendste, dass ich es liebe zu lesen, und dass ich es liebe, über Texte weiter nachzudenken und über die Sprache nachzudenken, mich darin zu vertiefen, über einzelne Wörter vielleicht auch weiter nachzudenken. Und das ist für mich das Faszinierende, und natürlich auch, dass man unterschiedliche Welten eintaucht. Also jeder Text ist ja eine eigene Erfahrungswelt, die einem da begegnet, und das finde ich faszinierend, und natürlich auch die Komponente der Vielsprachigkeit. Also, wenn man eben auch nicht nur auf Deutsch liest, sondern auf anderen Sprachen, dann taucht man ja auch immer in andere Sprachwelten ein, und das finde ich einfach faszinierend, und ich liebe es auch einfach, über Literatur nachzudenken und darüber zu sprechen.

00: 04:46Sandra Fleckenstein: Das spürt man auf jeden Fall. Mit jedem Satz, den du sagst, kommen wir jetzt mal konkreter, dann jetzt Step by Step in deine Forschung rein. Wie erklärst du deinem Kind, woran du gerade forscht?

00: 05:00Marilia Jöhnk: Okay, also tatsächlich sind meine Kinder noch so klein, dass ich denen das, glaube ich, noch gar nicht erklären kann, weil die erst anderthalb sind. Ich habe Zwillinge und wenn ich es aber einem Kind erklären würde, das jetzt vielleicht vier ist oder fünf oder sechs, dann würde ich sagen, ich interessiere mich für Geschlecht und würde sagen: Okay, es macht in unserer Welt leider noch ein Unterschied, ob man ein Mädchen ist oder ein Junge ist. So würde ich also versuchen, schon Geschlecht zu erklären, und auf der anderen Seite interessiere ich mich für die Mehrsprachigkeit, und da würde ich jetzt meinen Kindern, die auch zweisprachig sind, erklären, es macht jetzt einen Unterschied, ob ihr in Mamas Sprache oder Papas Sprache sprecht, und Mama interessiert sich für diese zwei unterschiedlichen Felder. Also es wäre sehr schwierig, glaube ich, das dem Kind zu erklären.

00: 06:02Sandra Fleckenstein: An dem konkreten Beispiel, was ist bei dir die Mama Sprache? Was ist die Papasprache?

00: 06:05Marilia Jöhnk: Okay, bei mir ist es das Deutsche, weil ich mit denen deutsch spreche, und mein Mann spricht mit denen portugiesisch.

00: 06:13Sandra Fleckenstein: Das heißt, sie wachsen auch mehrsprachig schon auf. Okay, da würde ich gerne nochmal jetzt näher und tiefer reingehen, beziehungsweise eine Frage erst mal vorab, weil du hast ja einen Schwerpunkt auf translinguale Autoren des achtzehnten Jahrhunderts in einem Forschungsfeld. Das wäre natürlich zu heftig, das einem Kind jetzt zu erklären, dass ist klar erstmal. Bevor wir auf die Mehrsprachigkeit kommen, die wirklich sehr, sehr wichtig ist in deiner Forschung. Wie bist du drauf gekommen, historische AutorInnen zu untersuchen? Also, ich würde gerne erst mal auf diesen historischen Aspekt kommen oder eingehen, und dann auf die Mehrsprachigkeit.

00: 06:53Marilia Jöhnk: Mhm, also, gerade bei den Themen, die mich interessieren, jetzt im Moment, nämlich Gender und Mehrsprachigkeit, ist es so, dass man, wenn man die hört, vor allem an moderne Literatur denkt, und weil es natürlich auch Themen sind, die im Moment sehr präsent sind, und man denkt an Phänomene wie Migration beispielsweise, also Phänomene, die wir sehr mit der modernen assoziieren. Und da war jetzt erst mal ein Ansatz zu sagen, okay, das ist aber ein Phänomen, das es immer schon gab, und gerade das achtzehnte Jahrhundert eignet sich besonders gut dafür, diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Also, unser Blick ist eigentlich sehr vom 19 Jahrhundert beeinflusst, weil es da eben auch so ein ideal gab, der Einsprachigkeit und in der Muttersprache zu schreiben, und das gilt aber gar nicht für die europäische Geschichte vor dem 19. Jahrhundert, wo das eben ganz und gar nicht der Fall war oder als ein Ideal gepredigt wurde, und deshalb ist eben auch mein Einsatz zu zeigen, okay, die Geschichte der Mehrsprachigkeit ist sehr viel älter, und daran sollten wir uns auch erinnern, dass es eben keine modernen Phänomene sind.

00: 08:06Sandra Fleckenstein: Du hast eben gesagt, gerade das achtzehnte Jahrhundert eignet sich besonders gut, auch Mehrsprachigkeit zu untersuchen. Kannst du uns da so einen Hinweis geben, wie so genau das 18. Jahrhundert?

00: 08:21Marilia Jöhnk: Ja also, es ist ja davor in der frühen Neuzeit und dem Mittelalter in Europa so, dass man die Dominanz des lateinischen hat, dass man also eine Sprache hat, in der die Gelehrten miteinander korrespondieren können, eine lingua franca sozusagen, und im achtzehnten Jahrhundert etablieren sich noch stärker die Volkssprachen. Es ist einfach noch normaler, dass man eben auch französisch schreibt und eben nicht mehr auf Latein. Das heißt, da gibt es eine andere Virulenz und Notwendigkeiten, auch andere Fremdsprachen zu lernen, und das ist also der erste Ansatzpunkt. Aber auch, wenn man von dem Aspekt des Geschlechtlichen her denkt, dann ist das achtzehnte Jahrhundert besonders wichtig, weil wir nämlich in der Zeit sind, in der über Frauenrechte ganz viel debattiert wird, natürlich auch im Zuge der französischen Revolution, eine Zeit, in der viele Frauen auch anfangen zu schreiben oder als Übersetzerin tätig zu sein. Das heißt, diese beiden Komplexe kommen da gut zusammen. Ich will aber gar nicht sagen, dass man nicht auch diese Zusammenhänge im sechzehnten Jahrhundert sich vielleicht anschauen könnte oder natürlich auch auch in der Moderne. Also das würde mich auch interessieren, wie da Mehrsprachigkeit und Geschlecht zusammenhängen, und das war eigentlich auch mein Ansatzpunkt, als ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, dass man eben auch in der Gegenwartsliteratur Beispiele findet, wo das beides zusammenkommt und zusammengedacht wird.

00: 09:51Sandra Fleckenstein: Mhm, kannst du uns mal deine Forschung vielleicht auch an einem konkreteren Beispiel erklären?

00: 09:59Marilia Jöhnk: Mhm also, ich würde als konkretes Beispiel eine spanische Übersetzerin anführen. Inés Joyes y Blake ist ihr Name sehr unbekannt, wie alle Frauen, mit denen ich mich zurzeit beschäftige, und sie übersetzte eine philosophische Erzählung aus dem englischen ins spanische, was schon mal in der Zeit sehr außergewöhnlich war, weil das englische keine weitverbreitete Sprache im 18 Jahrhundert in Spanien war. Sie tat dies oder konnte dies aber auch tun, weil sie eine Migrationsgeschichte hatte, also einen irischen Migrationshintergrund, und in dieser Übersetzung veröffentlichte sich auch ein Essay, den sie verfasst hatte. Dieser heißt auf spanisch: disculpa de la mujer, Apologie der Frauen. Das heißt, es war ein Essay, indem sie Frauenrechte verteidigt, und das ist natürlich interessant, dass man diese Übersetzung hat, in der eben Samuel Johnson, ein sehr bekannter britischer Autor, übersetzt wird, und dann im Anhang noch diesen eigenen Text, in dem es um emanzipatorische Forderungen geht. Das heißt, die Mehrsprachigkeit wird genutzt, und das ist auch die These, die ich habe in meinem Projekt. Die wird genutzt für verschiedenes, und in diesem Fall ist es eine Strategie, um sich an Debatten der Aufklärung zu beteiligen. Ich möchte aber auch zeigen, dass die Mehrsprachigkeit genutzt wird, um sich eine eigene Gelehrsamkeit zu konstruieren. Es gibt zum Beispiel auch Übersetzungen, wo wir ganz viele Fußnoten haben, die von den Übersetzern eingefügt werden und durch die der Text kommentiert wird. Das heißt, man versucht eigentlich, eine Art Literaturwissenschaft zu betreiben. Also was ich jetzt heute eigentlich mache, wird in diese Fußnoten verlagert und auch als eine Strategie, um eine weibliche, Community zu erschaffen und mit anderen Frauen in Austausch zu treten. Und das Beispiel, was ich jetzt als erstes genannt habe von dieser spanischen Übersetzerin, wäre eben ein Beispiel für das Nutzen einer Übersetzung als Strategie, um sich eben an Debatten der Aufklärung zu beteiligen.

00: 12:14Sandra Fleckenstein: Ich bin fast ein bisschen sprachlos, weil das was ist, was mir gar nicht... wenn man sich damit nicht beschäftigt, weiß man das gar nicht und finde ich super, super spannend. Aus welchem Antrieb heraus hat sich denn dein Interesse für Mehrsprachigkeit entwickelt? Also, ich gehe immer davon aus, dass du auch sehr für diese Themen natürlich brennst und einstehst, und ich wollte einfach mal hören, gibt's da noch weitere Antriebe?

00: 12:42Marilia Jöhnk: Ja, also, ich bin selbst auch mehrsprachig, das heißt, dass es natürlich dann auch ja, man wächst damit auf das, was die gesamte Biografie prägt, den gesamten Lebensweg. Von daher habe ich da wahrscheinlich aufgrund dessen schon eine gewisse Vorliebe für dieses Thema. Tatsächlich bin ich aber auch sehr begeistert von der Gegenwartsliteratur, die sich mit Mehrsprachigkeit auseinandersetzt. Also ich könnte zum Beispiel sehr die Texte von Joko Tawada empfehlen, eine deutsch japanische Autorin, die auf deutsch und auf Japanisch schreibt und auch dieses zwischen den Sprachen sein immer wieder zum Thema ihres Schreibens wählt, und durch die Beschäftigung mit Autorinnen, ich könnte jetzt noch andere nennen, die ich auch empfehlen würde, zum Beispiel Gloria Ansaldua, eine amerikanisch mexikanische Autorin. Durch die Beschäftigung mit diesen Texten ist das Interesse bei mir noch größer geworden. Im Studium haben wir auch einen Teil gehabt über das Übersetzen, und das hat mich auch total interessiert, und es ist ja auch ein mehrsprachiges Verfahren. Also, es gab auch schon im Studium Momente, wo mich das interessiert hat, und aber auch darüber hinaus gab es da immer schon eine gewisse Präferenz für dieses Thema.

00: 14:04Sandra Fleckenstein: Also zum einen sagst du jetzt natürlich: Mehrsprachigkeit auch aus dem Übersetzertum heraus, aber auch als Strategie, um eben inhaltliche Thesen zu verbreiten oder aufzustellen. Wir sind jetzt bei dieser Mehrsprachigkeit und bei diesem Übersetzungsvorgang, welche Bedeutung hatte denn Gendern für historische Autorinnen? Gab es das damals schon?

00: 14:30Marilia Jöhnk: Gendern im Sinne von, wie wir das heute kennen, das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Also ich, da kann ich nur in einem Ausschnitt drauf antworten, weil zum Beispiel auch interessant ist, wie benennen sich diese Frauen denn, benennen sie sich als Übersetzerin oder nehmen sie da die männliche Form? Und also da ist tatsächlich interessant, dass das Wort im französischen zum Beispiel auch in dieser Zeit auftaucht. Ich würde sagen, das ist eher eine moderne Debatte. Das muss man schon so sagen, dass das, da sind wir noch so weit von weg im 18 Jahrhundert, weil es geht um die Frage, wie kann ich überhaupt als Frau öffentlich in Erscheinung treten? Das ist ja schon ein Riesenschritt für viele. Da kommt auch wieder das Übersetzen ins Spiel. Für viele Frauen war es eben so, dass sie zuerst diesen Raum der Übersetzung nutzen konnten. Der hatte eben nicht so viele Hürden, wie einen eigenen Text zu publizieren und häufig über das Übersetzen dann wiederum eigene Texte auch veröffentlicht haben. Aber man muss sich schon vorstellen, dass das sehr große Hürden waren, die da bestritten wurden, und diese Frauen auch mit sehr großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Also, wir sind da noch in ganz anderen, nicht dass es heute einfach wäre, aber wir sind da schon noch in ganz anderen zusammenhängen. Von daher ist diese sprachliche Auseinandersetzung mit Geschlecht, Gendern beispielsweise, wie es heute auch eine sehr virulente Debatte ist, da sind wir noch recht weit von entfernt.

00: 16:21Sandra Fleckenstein: Okay, ja, wahrscheinlich korrigiere mich da gerne, wenn ich da jetzt in eine falsche Richtung denke. Aber du hast es gerade angesprochen. Es war für die Frauen im 18 Jahrhundert schon eine Riesenhürde und Herausforderung, wahrscheinlich auch überhaupt als Frau aufzutreten in der Öffentlichkeit. Oder hatten die vorher auch, hatten Frauen vorher oft so männliche Synonyme, unter denen sie dann veröffentlicht hatten?

00: 16:47Marilia Jöhnk: Das kommt auch vor, oder es wird ganz anonym veröffentlicht. Das ist auch sehr, sehr häufig der Fall. Also, man hat beispielsweise das Problem also mit Autorinnen, mit denen ich mich zurzeit auch beschäftige, dass man in Briefwechseln herausliest: Okay, diese bestimmte Autoren, hat anscheinend an einer Übersetzung gearbeitet, aber man kann ihr die Übersetzung gar nicht mehr zuschreiben. Weil es ist sehr schwierig nachzuweisen. Man muss da sehr viel Spurensuche betreiben, und selbst wenn man diese Spurensuche betreibt, dann ist es schwierig, da überhaupt zu sagen: Okay, das wird jetzt von der oder der Person veröffentlicht. In Ländern wie Spanien und Portugal haben wir auch noch die Inquisition in der Zeit. Das heißt noch eine zusätzliche Hürde und Schwierigkeit. Von daher gibt es eben sehr viele anonyme Übersetzungen.

00: 17:43Sandra Fleckenstein: Das heißt im 18. Jahrhundert gab es natürlich noch ganz andere Herausforderungen als heute, und wenn ich dich richtig verstanden habe, ist das Gender Bewusstsein wirklich zu Gendern in Übersetzungs Texten ein Phänomen der Neuzeit. Okay, an der Stelle provokante Frage, hat Übersetzung ein Geschlecht?

00: 18:04Marilia Jöhnk: Genau zu der Frage haben wir in Bamberg im letzten Jahr eine Podiumsdiskussion gehabt, und ich würde sagen, ja, sie hat ein Geschlecht, wenn man sich zum Beispiel auch den Beruf der Übersetzerin anschaut. Es ist natürlich jetzt, was ist Übersetzung? Also gehe ich jetzt sozusagen von der Person aus, oder gehe ich eher vom Prozess des Übersetzens aus? Aber ich würde sagen, es gibt da ein Geschlecht, und man muss aber immer historisch auch schauen, mit welchen Texten, aus welcher Zeit arbeitet man. Aber klar, also, da könnte ich auch eine Kurzgeschichte empfehlen von Joko Tawada.

00: 18:50Sandra Fleckenstein: Gerne, wir packen das einfach alles in die Shownotes rein, deine ganzen Empfehlung.

00: 18:57Marilia Jöhnk: Die heißt "Eine leere Flasche", und da geht es um die Frage, wie drücke ich Geschlecht im japanischen aus, und wie drücke ich das im deutschen aus? Und die Erzähl Figur in diesem Essay in dieser Erzählung sagt, dass sie das Deutsche ich als eine sehr große Befreiung empfunden habe, da ist eben kein Geschlecht hat anders als im japanischen. Das bedeutet klar, wenn wir über Sprache sprechen, dann sind wir mit Pronomen und all diesen Debatten immer schon in einer Geschlechtlichkeit, und es gibt natürlich signifikante Unterschiede zwischen den Sprachen, wie auch Geschlecht ausgedrückt wird und gedacht wird.

00: 19:37Sandra Fleckenstein: Auch Länder oder sprachen abhängig dann. Wir haben gerade schon drüber gesprochen, Gendern ist ja mittlerweile endlich, kann man sagen, in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Hat es Auswirkungen auf deine Forschungsarbeit, die historisch geprägt ist? Also welche Auswirkungen hat das auf deine Arbeit? Jetzt heute, das Gendern der Neuzeit?

00: 20:00Marilia Jöhnk: Ja, also Gendern an sich, würde ich sagen, ist jetzt gar nichts, was für mich als Forschungsfrage, für meine Zusammenhänge sehr signifikant wäre. Es ist natürlich schon so, dass man natürlich, wir sind in unserer Zeit, und es ist natürlich so, dass man sich auch immer in die historischen Zusammenhänge eindenken muss. Man muss sozusagen die Debatten kennen, man muss wissen, okay, wenn dieser Text zitiert wird, dann steht ja irgendwie in einem Zusammenhang zu anderen Texten über die Frauenfrage. Also da gab es ja sehr viele Texte, die in der Zeit über Frauenrechte debattiert haben. Das bedeutet, es kann auch eine Schwierigkeit sein, weil man sich eben erst mal in die Zusammenhänge im 18 Jahrhundert hereindenken muss und da natürlich auch aufpassen muss, dass man mit bestimmten Begriffen, wie wir sie heute kennen, nicht völlig ahistorisch operiert. Das bedeutet klar, es spielt eine große Rolle, und es ist natürlich auch spannend, weil es ist jetzt nicht immer einfach, Studierende für historische Texte zu begeistern. Aber wenn man dann so ein Thema hat, über das wir eben auch heute sprechen, dann hat das nochmal eine ganz andere Virulenz und Wichtigkeit. Von daher kann das eine Motivation sein und kann auch gerade in der Lehre hilfreich sein. Aber manchmal müssen wir eben auch aufpassen, dass wir historisch denken und nicht zu sehr von unseren heutigen Debatten ausgehen.

00: 21:38Sandra Fleckenstein: Okay, ja, eine Frage ist ja jetzt noch offen. Ich habe das in der Anmoderation dir mal so einen Raum gestellt. Wieso wird eigentlich bei der Muttersprache bereits ein Geschlecht mitgedacht? Also, wenn mir das jemand beantworten kann, dann hoffe ich du.

00: 21:55Marilia Jöhnk: Wir haben natürlich die Mutter in der Muttersprache, und es ist so, dass zum Beispiel die Römer noch vom Sermo Patris sprachen, das heißt, die hatten in ihrer Sprach Konzeption noch einen starken Bezug auf die Vaterschaft, und wir haben immer noch dieses lateinische Konzept ist auch interessanterweise ein übersetztes Konzept. Ursprünglich hieß das nämlich im lateinischen Lingua materna, das aber in Übersetzung interessanterweise in die in die modernen europäischen Sprachen eingegangen ist. Das heißt, wir haben immer diesen sehr, sehr starken Bezug zur Mutter, was natürlich eine Geschlechtlichkeit ist und auch ein biologischer Bezug. Da gibt es auch eine ganz tolle Studie zu, die ich auch sehr empfehlen kann, wo es auch um diese Kritik eigentlich an diesem biologischen Sprachdenken geht, und man muss sich eben auch fragen, was verbinden wir eigentlich mit der Muttersprache? Das ist ja, wie gesagt, eine biologische Metapher, auch eine bestimmte Metapher, mit der wir vielleicht auch was Authentisches verbinden oder auch Sprache nicht als etwas denken, dass man vielleicht auch im Laufe des Lebens verändern kann. Seine Muttersprache kann man eigentlich in unserer Konzeption nicht ändern oder wechseln. Von daher ist natürlich über die Mutter eine sehr starke gender Dimension da enthalten, und es gibt viele, die auch eher von Hauptsprache heutzutage sprechen würden.

00: 23:30Sandra Fleckenstein: Interessant. Marilia, wir sind schon am Ende angekommen. Es ging sehr schnell wie erwartet, und eine letzte Frage habe ich noch an dich, nämlich was möchtest du deinem Jüngeren Ich, das sich vielleicht gerade am Anfang des Studiums befinde, was möchtest du dem mit auf den Weg geben?

00: 23:48Marilia Jöhnk: Also, ich würde meinem Jüngeren ich vielleicht gar nichts anderes raten, als ich mir jetzt im Moment auch immer versuche. Also Dinge, die ich mir immer versuche zu sagen, das eine ist positiv denken und optimistisch denken, zum anderen auch in der Gegenwart sein. Also klar, wir machen immer unsere Pläne und wir denken an den nächsten Schritt. Aber trotzdem ist es wichtig, immer im Moment auch zu bleiben und in der Gegenwart zu bleiben und zu schauen, okay, was mache ich jetzt eigentlich und was sind meine Pläne für die nächste Zeit? Und zuletzt auch weniger Perfektionismus wagen und pragmatischer sein, das ist auch etwas, was ich aus der Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit und mit mehrsprachiger Literatur empfehlen würde.

00: 24:40Sandra Fleckenstein: Vielen Dank für deine Empfehlung, und wenn eine Forscherin, die sich mit historischen Autorinnen beschäftigt, uns empfiehlt, in der Gegenwart zu sein, dann nehmen wir das natürlich gerne an. Ja, vielen Dank für die Einblicke in deine Forschungswelt und dass du uns heute mal in die Literaturwissenschaft mitgenommen hast. Alles Gute für dich! Weiterhin viel Erfolg und Freude und Leidenschaft, die du ja so rüberbringst. Weiterhin beim Forschen, und euch da draußen wünsche ich natürlich auch viel Freude bei allem, was ihr so macht, und wenn ihr mögt, dann hören wir uns nächsten Freitag wieder. Das wiederum würde uns viel Freude bereiten. Unter dem Motto Frauen inspirieren Frauen möchten wir euch heute noch einen Podcast Empfehlung ans Herz legen, der Female Experts Podcast. Ihr Podcast ist ein Ort, an dem Frauen zusammenkommen und voneinander lernen können. Zusammen mit ihren InterviewInnen spricht Kinga über Themen wie den Gender Pay Gap, die Stärkung von Frauenrechten, Finanzmythen und über zahlreiche Business Ideen, damit Frauen durch Geschichten und Lehren ermutigt werden, ihre eigenen großen Träume und Ziele zu verfolgen. Wir verlinken euch den Podcast natürlich in den Shownotes und freuen uns, wenn ihr uns auf social media folgt. #innovativeFrauen.

00: 26:08Intro/ Outro: Wir hoffen, dass euch die Folge gefallen hat. Auf unserer Plattform innovative-Frauen.de findet ihr weitere spannende Inhalte. Schaut auch gerne mal vorbei. Habt ihr fragen oder wünsche? Dann schreibt uns an Podcast@innovative-Frauen.de, und ihr findet uns auch bei Instagram, Twitter, YouTube und LinkedIn. Eine Info zum Schluss für die Transparenz. Die Plattform #InnovativeFrauen wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern unter dem Förderkennzeichen 01FP21070 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Kompetenzzentrum Technik, Diversity, Chancengleichheit ev.

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