Julia Haske: Welche Nachnutzungspotentiale haben Bergbauregionen?

Shownotes

Kann man Bergwerke recyceln? Diese Frage haben wir unserer ersten Interviewgästin in der ersten Folge der neuen Podcast-Staffel #ForscherinnenFreitag gestellt. Als jüngste und bisher einzige Frau ihres Fachbereichs in einer solchen Leitungsposition hat Julia Haske die wissenschaftliche Leitung des Forschungsbereichs Reaktivierung und Transition ehemaliger Bergbauregionen am Forschungszentrum Nachbergbau an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum übernommen. Außerdem bedient sie als erste Frau in Deutschland das Forschungsfeld "Nachbergbau in China".

Mit ihr sprechen wir darüber, wie sich ein Strukturwandel möglichst sozial verträglich gestaltet und welche sozialen Folgen der Bergbau haben kann. Im Ruhrgebiet ist es mittlerweile üblich, Bergwerkstandorte als Industriekultur umzunutzen, und zum Beispiel für den Kultur- und Tourismusbereich zu nutzen. Hier bringt Julia Haske noch die Aspekte Geo-Monitoring, Technik und Wissenstransfer in der Gesellschaft mit ein: In einem Projekt fliegt sie mit Schulkindern via Drohnen die Route der Industriekultur ab, um so ein Verständnis für Ressourcen, Nachhaltigkeit und Technik zu schaffen. Das Ergebnis findet Anwendung in der Route der Industriekultur des Regionalverband Ruhr.

Über unsere Plattform #InnovativeFrauen könnt ihr euch mit Julia vernetzen, außerdem ist sie offen für Interviews und Anfragen als Rednerin oder Mentorin: Profil von Julia Haske

Fragen oder Anmerkungen? Schreibt uns gerne: podcast@innovative-frauen.de Plattform #InnovativeFrauen Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. Förderrichtlinie „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“

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00: 00:09Intro/ Outro: Forscherinnen Freitag, der Interview Podcast mit innovativen Frauen aus der Wissenschaft.

00: 00:16Sandra Fleckenstein: Einen wunderschönen Forscherinnen Freitag wünsche ich euch. Auch heute bin ich wieder im Talk mit einer innovativen Frau, die sich einem interessanten Forschungsfeld widmet, nämlich dem Nachbergbau, und zwar spezialisiert in China. Und da ist sie die erste Deutsche Frau, die sich damit beschäftigt, also ne echte Pionierin! Glück auf, und herzlich willkommen, Julia Tiganj!

00: 00:40Julia Tiganj: Ja, herzlichen dank! Ich freue mich sehr, heute hier sein zu dürfen.

00: 00:43Sandra Fleckenstein: Schön, dass du da bist, Julia. Bevor wir ins Thema starten, beschreib dich doch bitte mal ganz kurz mit drei Hashtags.

00: 00:52Julia Tiganj: Ohje, da fängt es ja schon richtig gut an. Ich würde sagen, wenn ich mich zwischen drei Hashtags entscheiden muss: zielstrebig, innovativ, diszipliniert.

00: 01:05Sandra Fleckenstein: Danke dir. Ja, du dissertierst gerade und arbeitest als Wissenschaftlerin für den Forschungsbereich Reaktivierung und Transition ehemaliger Bergbau Regionen am Forschungszentrum Nachbergbau an der technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum. Ganz direkt gefragt: Kann man Bergwerke recyceln?

00: 01:28Julia Tiganj: Ja, Recycling ist, glaube ich, gar nicht so ein verkehrtes Wort dafür, denn im Endeffekt geht es ja darum, dass wir bestehende Ressourcen wie ein Bergwerk oder eine Halde, die nicht mehr aktiv für den Bergbau selbst genutzt wird, vielleicht anders nutzen können, also um erneuerbare Energiealternativen zu integrieren oder auch ganz unkonventionell neue Konzepte zu entwickeln, wo wir eventuell auch gerade schon dabei sind. Genau und dementsprechend ist das möglich.

00: 01:57Sandra Fleckenstein: Ja, super, danke dir! Da kommen wir auch gleich auf jeden Fall nochmal ein bisschen näher drauf zu sprechen. So. Jetzt hast du natürlich da auch eine Innovation entwickelt in diesem Zusammenhang, und stell dir mal vor, vor dir steht ein fünfjähriges Kind, und dem möchtest du jetzt erklären, an was du so forschst und was so deine Innovation ist. Wie würdest du das machen?

00: 02:22Julia Tiganj: Ich glaube ich würde sagen, dass wir im Grunde hier bei uns zu Hause sehr, sehr eng mit unserer Industrie vernetzt sind. Also, Bergbau ist etwas, was uns allein schon hier in Deutschland über viele Jahrzehnte hinweg sehr geprägt hat, und das ist natürlich nicht nur bei uns so. Anderen Ländern geht das genauso, und das liefert uns eine sehr wichtige Zufuhr für Energie, die wir brauchen, für Strom, für Infrastruktur, für ganz viele alltägliche Dinge unseres Lebens, und auch in Europa oder auch international in China ist es so, dass die Menschen dort für ihren Wohlstand und für die Weiterentwicklung sehr davon abhängig sind. Dementsprechend ist es sehr wichtig, sich hier immer weiterzuentwickeln und zu schauen, wie kann ich vielleicht Dinge, die schon da sind, neu nutzen, anstatt quasi die wegzuwerfen oder die einfach zu verlassen, also quasi: Aus alt mach neu? Wie kann ich Altes digitalisieren, modernisieren, unter was Innovatives und möglichst nachhaltiges draus schaffen?

00: 03:22Sandra Fleckenstein: Okay, und was kann das alles bedeuten? Also jetzt der Nachbergbau. Du hast jetzt schon so allgemein gesprochen. Was kann das konkret bedeuten? Was kann man aus so einem Nachbergbau alles entwickelt?

00: 03:36Julia Tiganj: Ja, also, das ist wirklich ein sehr umfangreiches Feld, was ich selbst früher auch gar nicht gedacht hätte, als ich mich noch nicht damit beschäftigt habe. Das heißt, wir haben ja einerseits das Groben Wassermanagement und die Ewigkeitsaufgaben, also zum Beispiel das Grubenwasser regelmäßig abgepumpt wird, damit das nicht zu hoch steigt. Wir haben aber auch im Bereich des sogenannten Geo-Monitorings, wo wir uns mit der Umwelt und verschiedenen Monitoring Ansätzen beschäftigen. Wir haben auch die Materialwissenschaften, also zum Beispiel, wenn Materialien Korrosion erleiden oder Leckagen aufweisen. Wie gehen wir damit um? Wie kann das restauriert werden? Und letztendlich natürlich dann auch mein Bereich, also die Reaktivierung und die Transition, was genau meint, dass wir wissenschaftlich den Wandel begleiten. Also wie sieht das politische Rahmenwerk aus, was hat das für ökonomische Einflüsse? Wie sieht das mit Beschäftigungseffekten aus? Also wie gestaltet sich Strukturwandel möglichst sozial verträglich? Und das hat natürlich dann weitere Dimensionen, mit denen ich mich auch beschäftige in verschiedenen EU-Projekten mit unterschiedlichen EU Partnern auch. Wie können wir zum Beispiel Business Modelle entwickeln, um ehemalige Bergwerke neu nutzen zu können, und dann versuche ich individuell immer noch, die Brücke nach China zu schlagen, um hier auch den internationalen Austausch zu fördern.

00: 04:52Sandra Fleckenstein: Da gehen wir auch gleich nochmal auf jeden Fall näher darauf ein. Du hast gerade gesagt, auch du hast die soziale Ebene angesprochen. Was könnten denn so soziale Auswirkungen sein?

00: 05:05Julia Tiganj: Ja, die werden tatsächlich meiner Ansicht nach immer noch sehr stark unterschätzt, weshalb es umso wichtiger ist, dass wir hier ansetzen und die Leute mitnehmen, denn einerseits mangelt es oft an Kommunikation und Transparenz, das heißt, Leute in Gemeinden fühlen sich nicht verstanden.

00: 05:20Sandra Fleckenstein: Du sagst Leute mitnehmen, Entschuldige, dass ich reingeh, wenn das Leute Mitnehmen, über welche Leute sprechen wir?

00: 05:24Julia Tiganj: Wir sprechen über die Gesellschaft, ja, also besonders die Leute, die in solchen industrieintensiven Gebieten leben, die direkt betroffen sind, und dann passieren da Wandel und Dinge, und die Leute können gar nicht nachvollziehen, warum passieren diese Dinge jetzt? Warum wird sich so entschieden? Und es ist einfach wichtig, gerade wenn solche Dinge wie Kohle ein sehr negatives politisches Image haben, aufzuklären, mitzunehmen. Wieso führen wir Änderungen ein? Was bezwecken die ja? Da gehen wir auch in Bürgerinitiativen und stellen uns diesen fragen, weil es einfach wichtig ist. Aber wir müssen auch bedenken, gerade Leute, die direkt von solch einer Industrie betroffen sind, also ehemalige Bergbauarbeiter, die leiden auch in der Langfrist. Und hier reden wir nicht nur von diesen typischen physischen Auswirkungen, die man kennt, also gesundheitliche Schäden, vielleicht dadurch, dass die Arbeitsbedingungen damals noch nicht so ausgereift waren, sondern auch psychische Schäden, und die werden oft nicht gesehen. Wenn jemand seine Arbeit verliert und vielleicht keine neue Arbeit findet, da er schon zu alt ist, da er gezwungen ist, in Frührente zu gehen, dann kann dies mit anhaltender Arbeitslosigkeit dazu führen, dass sich Leute nicht mal als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft fühlen, dass sie in Depression oder in Süchte abrutschen, und davon sind dann wiederum auch indirekt die Verwandten, die Freunde etc. betroffen. Und hier muss man ansetzen und erst einmal verstehen, was für Auswirkungen hat das auf ein individuelles Wesen? Ja, und nicht nur aus der technischen Perspektive gucken, sondern interdisziplinär diese Dinge vereinen.

00: 06:52Sandra Fleckenstein: Und lass uns da gerne noch kurz dabei bleiben, weil du hast ja jetzt für ehemalige Bergbau Angestellte gesprochen, und diese Folgen, die du eben genannt hast, würde ich jetzt behaupten, das betrifft ja eigentlich alle Menschen durch alle Branchen. Wenn man seinen Job verliert oder nicht mehr in dem Job arbeiten kann, aus welchen Gründen auch immer, kann das negative Konsequenzen und Folgen haben. Was ist da jetzt am Bergbau speziell herausfordernd für die Menschen?

00: 07:23Julia Tiganj: Ja, ich denke einfach, dass der Bergbau ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie vielen Menschen er Arbeit gegeben hat. Einerseits ja, sowohl hier in Deutschland als auch zum Beispiel in China, wo er wirklich Millionen, Millionen Millionen Menschen davon abhängig sind, besonders in so industrieintensiven Regionen diesen Job zu haben. Die ganze wirtschaftliche Rentabilität stützt sich auf diese Industriezweige, und wenn die wegfallen, sind natürlich einerseits die Leute betroffen, die ihre Arbeit verlieren, die vielleicht auch an ihrer Arbeit gehangen haben, an ihren Kameraden gehangen haben. Gerade hier im Bergbau im Ruhrgebiet hat das einen sehr, sehr hohen Stellenwert für die Menschen. Industriekultur wird großgeschrieben. Dementsprechend ist das auch sehr Identität stiftend und prägend über die Generation gewesen, und wenn dies wegfällt, ist das gerade für ältere Menschen sehr schwer, und hier habe wir eine große Gab zu den jungen Menschen, die sich besonders für Klimawandel einsetzen, und dies zusammenzubringen und eine Balance zu schaffen, ist ein sehr, sehr großer Akt, aber auch etwas sehr wichtiges. Und andererseits sind natürlich auch die Leute betroffen, einfach in diesen Regionen wohnen und direkt dieser Industrie ausgesetzt sind und dem, was danach damit geschieht oder eben auch nicht geschieht. Nutzen wir das sinnvoll nach, wie zum Beispiel auf Zeche Zollverein Essen als UNESCO Welterbe, das Tourismus gefördert wird, das Kultur gefördert wird, oder lassen wir das einfach brach liegen und machen nichts damit. Das hat natürlich auch Auswirkungen. Also hier sind wirklich verschiedene Dimensionen betroffen.

00: 08:48Sandra Fleckenstein: Mhm, und wenn wir jetzt nochmal in die Zukunft denken, also da gibt's ja auch wahnsinnig interessante Pilotprojekte, zum Beispiel irgendwie wird über eine Folgenutzung alter Bergwerke für so Undergroundcities ja auch nachgedacht, um den Platzmangel eben in den Städten entgegenzuwirken. Wie realistisch ist das, und wie können wir uns das vorstellen? Was passiert in Zukunft mit diesen Flächen oder Regionen?

00: 09:16Julia Tiganj: Ja, also, das ist natürlich ein sehr prägnantes Beispiel, was du da jetzt genannt hast, was natürlich hier in Deutschland undenkbar ist. Also, ich lehne mich jetzt hier sehr weit auf dem Fenster. Aber das ist natürlich etwas, was besonders auf die chinesische Forschung zutrifft, da wir dort einfach den Zustand haben, dass in die Breite kaum noch gebaut werden kann. Es herrscht Platzmangel, wir haben sehr, sehr viele Menschen, und dort kann auch teilweise nicht mehr in die Höhe gebaut werden. Also, irgendwann sind diese Potenziale auch ausgeschöpft, und da ist tatsächlich so, dass auch geschaut wird, wie können wir sowas auch unterirdisch nutzen? Denn es gibt unter anderem Dörfer, die schon komplett unterirdisch ausgebaut sind, wo die Menschen, allein schon, um der Hitze zu entkommen, und auch weil sie generell eher dörflich angelegt sind, freiwillig sehr gerne unterirdisch leben, was wir uns hier vielleicht gar nicht vorstellen könnten. Da ist das aber schon Realität. Dementsprechend ist das gar nicht so weit entfernt zu sagen, okay, Institutionen, wo das möglich ist, die verlegen wir auch in den Untergrund, also da macht das durchaus Sinn. Das ist jetzt für Deutschland natürlich eine ganz andere Sache. Also, das ist schon sehr futuristisch. Aber da muss man natürlich auch einfach schauen, was gibt der Standort her, welche Spezifika haben wir hier, und wo befinden wir uns in der Welt? Also, das kann natürlich für jede Nation oder für jede Region eine ganz individuelle Lösung sein, und das macht ja auch diese Unkonventionalität und diese Innovativität aus, einfach offen zu sein für solche Konzepte, wie wir sowas nachnutzen können, und das finde ich sehr, sehr spannend.

00: 10:40Sandra Fleckenstein: Danke dir für diese Infos. Du hast es jetzt schon mehrfach erwähnt. Du hast eine Spezialisierung, nämlich was den Nachbergbau speziell in China betrifft. Wieso China?

00: 10:54Julia Tiganj: Ja, also wilde Story tatsächlich! Ursprünglich habe ich mein Background in chinesischen und russischen Sprachstudien gehabt und hab mich dann hinterher im Studium dazu entschlossen, auch Wirtschaft und Politik dazu zu nehmen. Das ist so ein Kombinationsstudiengang gewesen, also Wirtschaft und Politik Ost Asiens, und hab das dann auch im Master weitergemacht. Das war dann internationale politische Ökonomie und hab nebenbei aber an meiner jetzigen Arbeitsstätte auch gejobbt, fand das sehr, sehr spannend. Das Konzept des Nachbergbaus, das war mir gar nicht bekannt, obwohl ich ein Kind des Ruhrgebietes bin. Umso spannender also und hab mich dann gefragt, okay, ja, wir beschäftigen uns natürlich vor allem mit dem Ruhrgebiet, aber auch mit ganz Deutschland. Wir wollen die Internationalisierung, aber China ist das weltweit größte Bergbauland, das es gibt, das uns immer alle beeinflusst. Aber niemand hier beschäftigt sich mit China. Wieso ist das so? Und daraus hat sich dann quasi so eine kooperative Abschlussarbeit im Bachelor entwickelt. Ich habe meine Studien dann weitergeführt, auch über den Master hinaus, und wir haben gesehen, das ist sehr interessant, das klappt. Wir brauchen dieses Wissen auch, weil wir können hier noch so vorbildlich leben und noch so wundervolle Klimaziele erreichen, dass es alles sehr begrenzt, wenn international nicht mitgespielt wird, und da ist natürlich China der führende Player überhaupt. Dementsprechend ist mir persönlich das sehr, sehr wichtig, auch dieses Wissen voranzutreiben, und da habe ich einfach gemerkt: Nachbergbau ist generell natürlich ein sehr spezifisches Feld hier in Deutschland, aber dann der Nachbergbau in China und dann noch mit der sozialen Komponente, keine Chance. Dementsprechend mache ich das jetzt.

00: 12:31Sandra Fleckenstein: Das ist sehr gut. Danke, dass du dich dem Thema angenommen hast. Wie kann ich mir das konkret vorstellen? Also, du arbeitest ja in Deutschland und forscht aus Deutschland heraus. Kannst du chinesisch? Bist du ab und zu auch mal beruflich, dann in China vor Ort? Wie bekommst du da die Einblicke? Also, ich könnte mir jetzt vorstellen, gerade dermchinesische Staat ist natürlich nicht so einfach, da auch irgendwie reinzukommen und Einblicke zu generieren.

00: 12:59Julia Tiganj: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Also einerseits habe ich in meinem ersten Studium Sinologie studiert, drei Jahre lang Chinesisch gelernt, dann in meinem konsekutiven Bachelorstudium noch mal drei Jahre Chinesisch gelernt und anschließend im Master noch mal zwei Jahre. Das heißt, da habe ich schon ein paar Jahre Chinesisch auf dem Buckel. Tatsächlich war es aber bisher leider so, dass ich nicht selbst physisch dort hinreisen konnte. Am Anfang hatte man als Studentin zu wenig Geld, ja, dann hat man kein Stipendium bekommen. Die Kosten da sind schon enorm. Dann hing auch meinen Job hier davon ab, und letztendlich kam dann Corona, als ich endlich die Chance gehabt hätte, dort hinzufliegen, es sollte bisher einfach nicht sein. Ich finde aber, dass es für die Forschung enorm wichtig ist, sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. Das ist also auch in Planung, dass das demnächst hoffentlich geschehen wird. Aber bis dahin habe ich sehr verlässliche chinesische Kontakte, sowohl hier in Deutschland, die regelmäßig dort sind oder direkt vernetzt sind, oder auch direkte Kontakte nach China, sowohl mit Universitäten als auch mit Forschungsinstituten in verschiedenen Provinzen, wo ich dann einen direkten Austausch habe, der natürlich enorm weiterhilft. Denn gerade in China kommt man sonst natürlich nicht an die Statistiken und an die Zahlen dran, die man benötigt. Das ist so.

00: 14:11Sandra Fleckenstein: Darauf aufbauend, was ist deiner Meinung nach der Vorteil, wenn du deine Forschung aus Deutschland heraus betreibst, jetzt im Vergleich zu KollegInnen in China vor Ort? Welchen Vorurteilen begegnest du aber auch? Welche Chancen bringt das mit sich, von so einer Außenperspektive quasi zu forschen?

00: 14:31Julia Tiganj: Ja, die Vorurteile, gerade in Deutschland in den letzten Jahren sind natürlich immer, dass es mit China sehr kritisch ist. Ja, da gibt es verschiedene Kritikpunkte, warum eine Zusammenarbeit mit China sehr schwierig ist oder auch nicht wünschenswert ist, die ich durchaus verstehe. Aber meiner Meinung nach ist es keine Option zu sagen, dass hier gar keine Zusammenarbeit entsteht, weil da kommen wir nicht drum herum, ob wir das möchten oder nicht, irgendwie muss man sich dem annehmen, sonst können wir gemeinsam keine Weiterentwicklung leisten. Man kann seinen Standpunkt haben, aber das darf Forschung, Objektivität nicht beeinflussen. So ist das nunmal, und ich denke, da macht es Sinn, dass besonders die Leute, die ja auch kulturelle Hintergründe haben, so wie ich das studiert haben, sich damit auseinandergesetzt haben, warum vielleicht einzelne Akteure oder Institutionen so handeln, wie sie handeln, warum sich bestimmte Muster ergeben, da einen besseren Ansatzpunkt haben als vielleicht Leute, die zwar generell in der Politik tätig sind, aber diesen Background nicht haben. Hier kann das ja unterstützend sein, wenn man sich gemeinsam austauscht und dann ein Transfer anstrebt. Und was mit China, also aus China heraus angeht, hier ist man natürlich auch etwas begrenzt, würde ich sagen, was die Meinungsfreiheit einfach angeht, das ist so. Hier gibt es bestimmte Vorgaben, an die muss man sich halten. Auch hier muss ich vorsichtig sein. Ja, man ist nur, weil man in Deutschland ist, nicht davor gefeilt, hier Sanktionen zu erfahren. Dementsprechend muss man einen Mittelweg finden, wie man hier richtig in die Kommunikation reingeht, um zwar einen Mehrwert für beide Seiten zu leisten, aber auch nicht in Fettnäpfchen zu treten. Das wird natürlich immer schwieriger.

00: 16:07Sandra Fleckenstein: Kann ich mir vorstellen, warst du da schon mal in einer Situation, wo du das Gefühl hattest, da begebe ich mich gerade auf dünnes Eis, da muss ich vorsichtig sein mit meinen Forschungen, auch mit der Kommunikation nach außen, mit Veröffentlichung?

00: 16:21Julia Tiganj: Ja, definitiv besonders, da der Pool an Wissenschaftlerinnen sehr begrenzt ist. Generell würde ich sagen, hier innerhalb des Ruhrgebiets oder näheren Umgebung, die sich mit solchen Themen wie China, Politik, Wirtschaft auseinandersetzen, wenn man dann die Brücke zum Energiesektor oder Bergbau schlagen will, nochmal weniger. Und für meine Masterarbeit beispielsweise habe ich Experteninterviews geführt mit verschiedenen Akteuren und Institutionen, und da waren sehr gute Interviews dabei. Währenddessen haben sich aber Sanktionen gegen diese Institutionen seitens China ergeben, die dann quasi auf die rote Liste gerutscht sind. Und dann muss man natürlich auch vorsichtig sein, wenn man solche Statements dann verarbeitet und das vielleicht mal von chinesischer Seite gelesen wird, dann kann es schon passieren, einfach nur, dass man das verwendet hat, dass man dadurch negativ behaftet ist, weil das einfach nicht gewünscht ist. Also hier muss man schon sehr schauen, welche Quellen nehme ich, mit wem verkehre ich, wenn ich denn wirklich da noch ein Standbein haben möchte? Andererseits darf natürlich mein Forschungsergebnis nicht davon beeinflusst sein, ob das einzelne Institutionen ein Dorn im Auge ist oder nicht. Also hier so einen Mittelweg zu finden, ist manchmal nicht so einfach.

00: 17:35Sandra Fleckenstein: Ja, ich glaube, du hast ja vorhin gesagt, die Objektivität der Forschung sollte eigentlich an oberster Stelle stehen. Wir haben jetzt immer mal zwischendurch schon das Thema Klimawandel auch gestreift, was natürlich irgendwie automatisch auch mit dem Nachbergbau verknüpft ist. Einer der wahrscheinlich größten Fragen, die wir uns gesellschaftlich die nächsten Jahre stellen müssen: Wie kann die Energiewende gelingen? Was ist da deine Meinung mit deinen Insides jetzt aus dem Nachbau?

00: 18:06Julia Tiganj: Ja, also, das ist natürlich nochmal ein großer Klopper zum Ende, das ist mir bewusst. Ich denke, wichtig sind die Punkte unter anderem, die ich angesprochen habe, also all das, was das Konstrukt Nachbergbau vereint, wie du schon sagst, das trägt einen enormen Anteil an der Klimawende, denn es soll ja dafür sorgen, dass die Hinterlassenschaften, die wir vom Bergbau haben, und das sind viele, möglichst nachhaltig und grün geregelt werden können, denn darunter leidet natürlich auch die Umwelt, wenn wir uns nicht darum kümmern. Das ist also ein essenzieller Bestandteil, aber auch diese Hinterlassenschaften weiterzuentwickeln, also die nicht nur zu monitoren und sauber zu halten, sondern auch weiter zu nutzen, um zum Beispiel noch mehr erneuerbare Energien zu integrieren und saubere Energie zu fördern, und andererseits aber auch den Wissensaustausch mit anderen Ländern zu fördern, die vielleicht auch sehr gute Erfolgsbeispiele haben, gerade wenn wir jetzt über erneuerbare Energien sprechen und sich so gegenseitig dabei zu helfen, die Konzepte weiterzuentwickeln. Das ist ja auch nichts anderes als das, was ich in meinen Projekten mache: Businessmodelle entwickeln für nachhaltigeres Bergbau Management.

00: 19:09Sandra Fleckenstein: Da sind wir auch wieder beim Recycling und Upcycling, wo wir gestartet sind. Genau ich habe in der Vorbereitung gelesen, dass du auch versuchst, all diese Themen natürlich aktiv mitzugestalten. Du versuchst bei Kindern schon, das Verständnis für Nachhaltigkeit und Ressourcen zu etablieren. Da bist du als Drohnenpiloten unterwegs und engagierst dich in Schulklassen und fliegst mit den Kids Industriekulturen ab. Ich nehme an, im Ruhrgebiet wahrscheinlich. Welche Aha Erlebnisse hattest du in dem Zusammenhang schon mit den Kindern?

00: 19:47Julia Tiganj: Ja, genau also, innerhalb eines unserer Projekte vereinen wir Reaktivierung, Transition und Geo Monitoring und haben da auch eine Partnerschaft mit der Martin Luther Hauptschule in Hamm und jeweils mit verschiedenen Schülern zusammen haben wir da ein Schülerlabor begründet, wo die quasi auch nicht nur jetzt Richtung Nachbergbau, sondern generell gegenüber Mint Technik die Chance bekommen sollen, sich in solche Themen einzuarbeiten, sich zu begeistern. Und gerade in Hamm, da hat sich natürlich angeboten, nach Zeche Radbod zu fahren. Da haben wir gemeinsam mit denen sowohl multispektral nennt sich das, als auch mit unserem Themal Infrarot Sensor das Gerüst beflogen und dann einfach mal gezeigt, wie stellen sich solche Unterschiede da? Was bedeuten die, warum machen wir das? Warum wollen wir das überhaupt erhalten? Wie sehen die Schüler das? Finden die das gut oder sagen die, nee, das kann weg? Und die finden das super, tatsächlich. Also jetzt nicht nur die Verarbeitung mit solchen Daten, sondern tatsächlich auch die Industriekultur selber. Also gerade jetzt, Hamm ist vielleicht auch ein super Aushängeschild dafür. Da wird sich ohnehin sehr für solche Themen engagiert, auch seitens der Lehrer, und das so ein bisschen mehr, als ich würde sagen, Kultur gut auch mit in den Unterricht eingebracht, und dementsprechend haben die da schon eine ganz andere Verbindung zur Industriekultur. Die haben zum Beispiel gemeinsam mit dem RVR die Route der Industriekultur, die App dazu entwickelt, also das ist der Regionalverband Ruhr, und der regelt bei uns quasi die ganzen Halden. Also ja, da gibt es wirklich eine Menge Beispiele, ich will jetzt auch nicht zu weit gehen. Aber wenn man einfach mal im Appstore guckt oder bei Android im Store einfach mal Rute der Industriekultur eingeben, kann man sich kostenlos runterladen, oder einfach bei Google gucken, ist wirklich spannend. Da hat man quasi wie so eine Broschüre der verschiedenen Standorte hier im Gebiet und kann dann halt sich das in 3D auf sein Handy laden und sich das von außen, teilweise auch von innen anschauen, kriegt ein bisschen Text dazu. Was ist das überhaupt, was ist das gewesen, was ist das heute und kann man auch als Fahrradtour machen etc. Also bietet einfach eine Förderung von Tourismus und Kultur, und da haben die aktiv mitgeholfen, das zu entwickeln. Also wirklich sehr cool!

00: 22:00Sandra Fleckenstein: Ja, da waren bestimmt auch einige Mädels dabei. Natürlich. Das heißt, du arbeitest direkt auch schon mit potenziellen Forscherinnen von morgen. Warum brauchen wir in technischen Berufen mehr weibliche Expertinnen in deiner Meinung nach?

00: 22:13Julia Tiganj: Ja, weil wir natürlich einfach viel zu wenige davon haben, und ich kenne das ja auch aus eigener Erfahrung, und ich bin sicher, viele von euch Hörern, finden sich jetzt auch angesprochen. Man denkt oftmals auch einfach, also ich hatte da wirklich so einen Scheideweg in der Schule, auch also alles, was mit Technik war. Ich hab mich dafür zwar sehr interessiert, besonders am Anfang noch. Da kam auch noch die Erfolgsergebnisse, also Informatik AG. Ich war in so einer Robotik AG, wo wir programmiert haben, aber es gab dann so ein Level, wo ich gemerkt habe, ich komme auch in Mathe, Naturwissenschaften nicht weiter. Ich bekomme nicht die Unterstützung, die ich brauche, und man hat irgendwie vielleicht durch das direkte Umfeld immer noch diese Stigmata im Kopf. Ja, Technik ist halt auch nicht so meins, deswegen ist es ja kein Wunder, dass ich es nicht kann. Außerdem bin ich ja gut in englisch, latein, französisch what ever, aber dementsprechend ist das ja nur natürlich, dass ich das andere nicht kann und sowas natürlich schwach sind, kommt aber noch sehr oft vor, dass man sowas eingetrichtert bekommt, das auch mitnimmt im weiteren weg und sich solchen Themen gar nicht mehr widmet. Also, ich habe gar nicht mehr darüber nachgedacht, ob das überhaupt in Frage kommen könnte, ob mich das interessieren könnte, und deswegen ist es wichtig, dass man versucht, hier immer wieder möglichst unvoreingenommen ranzugehen, mit solchem Material irgendwie auch haptisch zu begeistern, dass da was ist, was man zeigen kann, was sie selber anpacken können, ausprobieren können, um solche Erfolgserlebnisse wieder zu haben und dann zu merken, ach, das ist eigentlich doch was für mich! Also, das ist auch nochmal natürlich ein sehr, sehr großes Thema. Ja!

00: 23:33Sandra Fleckenstein: Du hast eben von deiner Schulzeit berichtet.

00: 23:36Julia Tiganj: Mhm.

00: 23:37Sandra Fleckenstein: Stell dir mal vor, du begegnest jetzt der jungen Julia, die noch in der Schule ist, vielleicht am Ende der Schulzeit, die all diese Herausforderungen irgendwie schon spürt als Frau, die sich irgendwie auch für diese naturwissenschaftlichen, technischen Themen interessiert. Was möchtest du damit auf den Weg geben?

00: 23:57Julia Tiganj: Der Julia, die mir sehr leid Tat, möchte ich sagen, lässt sich nicht davon verunsichern, dass deine Schulnoten so schlecht sind, denn die sagen natürlich nichts darüber aus, wie dein weiterer Weg sich gestaltet. Wichtig ist wirklich, mal in sich hineinzuhorchen und sich zu fragen, was interessiert mich wirklich, unabhängig davon, ob ich denke, dass ich etwas kann, ob ich Talent dafür habe oder nicht, das sind Dinge, die oftmals gar nicht zählen, mehr Schein als sein sind, und einfach mal ausprobieren, einfach Dinge ausprobieren. Und wenn man merkt, okay, das ist nichts für mich, dann hackt man das ab, und dann probiert man was Neues aus. Das Leben ist so voll von Möglichkeiten, dass wir oftmals total überfordert sind, gerade in so einem jungen Alter. Da weiß man einfach nicht, wer ist man oder wer möchte man sein? Wo möchte ich hin? Das sind viel zu große Fragen für so ein junges Alter, und ich glaube, so geht es sehr, sehr viel. Dass da wirklich jemand mit sechs schon weiß, was er dann später wird, und das auch genauso durchzieht, ist sehr unrealistisch. Mag vorkommen, aber ist in der Regel nicht so. Von daher sollte man sich da nicht von den Eltern, nicht von den Freunden oder vom Umfeld reinreden lassen und einfach ausprobieren. Man hat genug Jahre Zeit, dann entscheidet man sich halt nochmal um. Hab ich auch gemacht, war eine super Entscheidung, kann ich euch nur empfehlen. Macht es einfach!

00: 25:12Sandra Fleckenstein: Danke für deine Tipps, also in sich reinhören und herausfinden, was einem wirklich Freude bereitet. Ja, vielen Dank, Julia für deine Einblicke in die Nachbergbau Welt und deine wertvolle Forschungsarbeit. Es war ein sehr lehrreiches Interview. Ich habe viel gelernt heute, und für uns ist jetzt hier: Achtung kleines Wortspiel, Schicht im Schacht. Aber wir freuen uns natürlich jetzt schon, wenn ihr nächsten Freitag auch wieder dabei seid. Bis dahin, folgt uns gerne auf Instagram, lasst uns ein paar Likes da und natürlich auch gerne ein paar Sterne für diesen Podcast. Macht's gut, und bis dann!

00: 25:54Intro/ Outro: Wir hoffen, dass euch die Folge gefallen hat. Auf unserer Plattform innovative-Frauen.de findet ihr weitere spannende Inhalte. Schaut auch gerne mal vorbei. Habt ihr Fragen oder Wünsche? Dann schreibt uns an podcast@innovative-frauen.de. Ihr findet uns auch bei Instagram, Twitter, YouTube und Linkedin. Und eine Info zum Schluss für die Transparenz. Die Plattform #InnovativeFrauen wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation, Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern unter dem Förderkennzeichen 01FP21070 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt liegt beim Kompetenzzentrum Technik, Diversity, Chancengleichheit ev.

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